Yamton TR1
Beim Twins Only-Training in Oschersleben überraschte eine sehr klassisch anmutende Maschine das gesamte Auditorium.
Nach den ersten Runden schlich so mancher 996- oder Mille-Treiber mit zerknirschtem Gesicht um dieses Gerät.
Knapp 100 PS verpackt in 175 Kilogramm gehen ganz gut. Auch wenn's alt aussieht
Yamton TR 1 - betagter Yamaha TR 1-Twin im noch älteren Norton-Fahrgestell.
Bereits zu Beginn der fünfziger Jahre experimentierten die Norton-Entwickler mit recht steilen,
heute als state-of-the-art geltenden Lenkkopfwinkeln. Mit ihren elegant geschwungenen Rohren galten diese
Norton-Doppelschleifenrahmen unter Edelbastlern seit jeher als einzig wahre Lösung, wenn beste
Fahrbarkeit und stimmiges Gesamtbild angestrebt wurden. Federbettrahmen wurden diese Gebilde wegen
ihrer gezielten Nachgiebigkeit in Längsrichtung genannt.
Sie wirkt länger, als sie tatsächlich ist. Mit 1440 Millimetern Radstand entspricht die Yamton TR 1
durchaus den Ausmaßen moderner Supersportler. Dort haben sich effektive Werte zwischen 1400 und 1430
Millimetern etabliert
Bei den damals üblichen Rennen auf schlechten Landstraßen konnten die mit großen Radien
gebogenen Rohrschleifen ganz harte Fahrbahnstöße mit auffangen. Rahmenbrüche waren somit
kein Thema. Andererseits gerieten Lenkkopf und Schwingenlagerung durch den großzügigen, dreidimensionalen
Aufbau recht steif. Auf der Insel entstanden mit den Norton-Fahrwerken bevorzugt Bastarde durch den Einsatz von
Triumph- und Vincent-Zweizylindern. Entsprechend fielen die Namen für die Schöpfungen aus: Triton und Norvin.
Auch Yamtons, also Yamaha-Motoren im Norton-Chassis gab es schon früher. Mit den ersten XS 650-Typen samt
eher durchwachsen liegendem Serienfahrwerk waren auch hier die Schrauber schnell mit dem bewährten Schleifenwerk
aus britischer Produktion zur Hand.
Auch der Erbauer der hier gezeigten Yamton suchte das beste aus den unterschiedlichen Motorradwelten. Hier der
unproblematische Serienmotor aus Nippon, dort die Fahrwerkskunst aus merry old England.
Jedes Gramm zählt. Klassisches Gewichtstuning mittels Bohrmaschine passt zum Stil der Yamton
Dabei begann alles mit purer Begeisterung für die 1981 neu erschienene Yamaha TR 1 mit ihrem wundervoll fleischigen
V-Twin. Damals gerade 18 Jahre alt geworden, schlug Sepp Koch sofort zu und sicherte sich eines der ersten Exemplare.
Nur beste Erfahrungen mit der Maschine ließen den jungen Bayern schnell zum TR 1-Fan werden.
Aber da stand auch noch eine Norton Atlas aus dem 64er Baujahr in der Garage. Und nach einem Motorschaden war der
britische Klassiker reif für die Schlachtbank: Mal sehen, wie der Yamaha-Twin da 'rein passt.
Er passt gut, wenn auch nicht ganz so, wie zunächst gedacht. Denn ohne gekappte Rohrschleifen lässt sich
der doch recht groß gewachsene Nippon-Twin nicht ins englische Chassis hieven. "Kein Problem," sagt Sepp Koch,
"der Motorblock ist so stabil, der kann als voll tragendes Fahrwerksteil eingesetzt werden." Jetzt schließt
also der robust mit den Rohrenden verschraubte Motorblock die untere Rahmenschleifen.
Ein Bild von V-Twin. Yamaha schickt das Baumuster noch heute in Form der 1100er Drag Star und ganz aktuell
als Bulldog ins Rennen
Heute ist der 38jährige Spenglermeister aus Töging ein wahrer TR 1-Maniak. Etliche Maschinen stehen auf
Abruf bereit oder sind derzeit im Auf- oder Umbau. Teils mit Straßenzulassung, teils aber als reine
Just-for-fun-Objekte für Fahrten auf abgesperrten Strecken. Eifrige MO-Leser kennen die hier gezeigte Yamton
noch aus einem früheren Stadium. In Ausgabe 3/2000 gab es die Maschine in einer etwas milderen Form bereits
zu sehen.
Inzwischen ist die Maschine mit Leistungsteilen aus der Schmiede von Heinz-Gerd Benning aufgerüstet worden.
Der Name Benning dürfte gewissenhaften BoT-Freunden noch ein Begriff sein. Der Mann setzte Ende der achtziger
Jahre die Egli-TR 1 derart unter Dampf, dass sie unter Claus Caspers 1989 für den Titelgewinn gut war.
Runde 100 PS sind momentan Stand der Dinge, was in Verbindung mit fahrbereit 175 Kilogramm Maschinengewicht für
fulminate Einlagen am Kurvenausgang gut ist. Moderne Supersportler müssen sich da schon gewaltig anstrengen, um
noch den Anschluss zu halten. Angesichts der durchaus bescheiden erscheinenden Fahrwerkstechnik mit betagter 38er
Marzocchi-Gabel und simpelster Rohrschwinge eine Vorstellung, die zumindest erstaunen lässt. Schließlich
rollt das Motorrad auf nach heutigen Verhältnissen geradezu unverschämt schmalen 18-Zöllern in
altgedienter Diagonalbauweise. Montiert sind allerdings spezielle Klassik-Rennreifen Marke Avon. High Tech-Anhänger
können wenigstens beim Anblick der beiden konventionellen Federbeine aufatmen. Öhlins steht drauf, und so
finden Gedemütigte ihre Erklärung, weshalb der Sepp mit diesem Apparat so flotte Rundenzeiten hinbrennen
kann.
Begeisternd an der Yamton TR 1 ist die ebenso rohe wie geradlinige Metalloptik. Tatsächlich ist nur die kleine,
von einer Guzzi Le Mans I entliehene Cockpitverkleidung der größte Plastiklappen am Krad. Und wer jetzt
wissen möchte, mit welchem Lack Sepp Koch die Rahmenrohre so wundervoll auf Metall getrimmt hat, der muss enttäuscht
werden. Der Rahmen ist überhaupt nicht lackiert. "Damit er nicht gleich anrostet, hab' ich die Rohre mit Öl
eingerieben", gesteht der Erbauer schmunzelnd. Yamton TR 1, ein verdammt kesses Alteisen.
"Der TR 1-Motor ist die reine Freude. Nach 90000 problemlosen Kilometern machte ich den Motor auf, um festzustellen,
dass die ganze Schrauberei überhaupt nicht nötig gewesen wäre."
Sepp Koch (mit Sohn Josef), Yamton TR 1-Besitzer
Technische Daten
Preis: Schwer zu sagen. Mit viel Enthusiasmus aus großem Teilefundus und mit Unterstützung zahlreicher Fans über die Jahre gewachsen. Teilekosten zirka 5100 EURO
Leistung: etwa 100 PS (74 kW) bei 8000/min
Motor: Viertakt-Zweizylinder-V-Motor, luftgekühlt. Basis Yamaha TR 1. Zylinderwinkel 75 Grad. Zwei Ventile pro Zylinder, ohc. Bohrung x Hub 95 x 69,2 mm, Hubraum 981 ccm. Zwei Dell'Orto-Vergaser, x 40 mm, kontaktlose Zündung, keine Startvorrichtung. Fünfganggetriebe, Endantrieb über Dichtringkette
Fahrwerk: Unten offener Doppelrohrrahmen, Motor mittragend, Basis Norton Atlas, Bj. '64. Vorn Telegabel, x 38 mm, hinten Stahlrohrschwinge mit zwei Öhlins-Federbeinen. Akront-Hochschulter-Leichtmetallfelgen. Bereifung vorn 100/80-18, hinten 130/650-18. Vorn Doppelscheibenbremse, x 300 mm mit Zweikolbensätteln. Hinten Trommelbremse, x 160 mm. Radstand 1440 mm, Gewicht fahrbereit 175 kg
Besitzer: Josef Koch, Kirchstraße 3, 84513 Töging
Club: www.TR1.de
MO-Messwerte
Motor: V 2, 75 Grad, Vergaser, Zweiventiler, sohc, luftgekühlt
Hubraum: 981 ccm
Leistung Werksangabe: Serie 71 PS bei 6500/min
Leistung gemessen: 100 PS bei 8000/min
Topspeed solo liegend: 220 km/h vor Schikane/Most
Gewicht vollgetankt: 175 kg
Preis: Erbstück für die Söhne
Charakteristik: Du wachst auf und hörst vor dem Haus tiefes Twin-Bollern. Dein Blick blinzelt an der Gardine vorbei, und dir wird heiß: Emma Peel ist mit ihrer neuen Maschine da. Geträumt? Wer Emma Peel mag, wird bestimmt auch die Yamton verstehen.
Artikel aus der Zeitschrift